Schriftliche Stellungnahme von Mürvet Öztürk, 08.09.2015
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,
am 8. September 2015 habe ich meinen Rücktritt aus der Landtagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen im Hessischen Landtag erklärt. Diese Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen, doch sie ist nach reiflicher und langer Überlegung gefallen.
Meine Begründung möchte ich hier erneut darlegen:
Ich trage eine Verschärfung des Asylrechts auf Kosten von Schutzsuchender nicht mit. Einen erneuten Asylkompromiss, in dem die Westbalkanstaaten Albanien, Kosovo und Montenegro pauschal zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden sollen und weitere restriktive Vorschläge im Asylrecht diskutiert werden, finde ich falsch. Die Erweiterung der Sicheren Herkunftsstaaten auf Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina im Herbst 2014 war eine falsche Entscheidung und hat real keine Wirkung gezeigt. Die Menschen aus dem Westbalkan kommen trotzdem, denn sie sind auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben, was ihr gutes Recht ist. Diese Menschen wollen kein Asyl beantragen, sie wollen legal arbeiten. Bis ein Einwanderungsgesetz geschrieben und umgesetzt ist, kann es nicht sein, dass wir diesen Menschen keine legale Möglichkeit der Arbeitssuche zuerkennen. Es kann nicht sein, dass wir sie nach beschleunigten Asylverfahren abschieben. Viele sind mit Kindern gekommen, sprechen englisch und haben Qualifikationen, die sie bei uns einbringen möchten. Anstatt sie abzuschieben, sollten wir ihnen eine Chance einräumen, für 6 Monate legal Arbeit suchen zu dürfen. Wenn Sie eine Arbeit finden, was spricht dagegen, ihnen dann einen befristeten Aufenthalt zu erteilen?
Stattdessen wird in die politische Mottenkiste der 90er Jahre gegriffen und die Verschärfung des Asylrechts den Wählerinnen und Wähler als das Allheilmittel verkauft. Dem ist definitiv nicht so. Wir brauchen pragmatische Lösungen im Aufenthaltsrecht für Menschen aus dem Balkan, die bereits im Lande sind. Ihre Suche nach Arbeit und einem besseren Leben darf nicht zur Folge haben, dass das Asylrecht verschärft wird. Das Asylrecht ist ein Grundrecht und darf nicht weiter ausgehöhlt werden. Am 24. September 2015 zeichnet sich eine erneute Zustimmung Grün-Mitregierter-Länder ab, die einen Asyl-Kompromiss mittragen wollen, das gegen die Menschenwürde verstößt, nur Stammtische beruhigt und kein reales Problem löst.
Ich bin in die Politik gegangen, weil ich humanitäre Lösungen finden möchte und nicht nur einseitig die Gemüter „besorgter Menschen“ beruhigen will. Die Sorge vieler Menschen vor Überforderung und Überfremdung kann ich verstehen, jedoch nicht nachvollziehen. Diese „Gefahr“ besteht in Deutschland nicht. Diese Sorge ist unbegründet. Die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten Menschen sucht in ihren Nachbarländern Schutz. Rund 1,6 Millionen Syrer sind in der Türkei – innerhalb weniger Tage hat die Türkei 130.000 Menschen aufgenommen -, das sind mehr syrische Flüchtlinge, als Europa und Deutschland in drei Jahren Bürgerkrieg Schutz gewährt hat. Nur ein geringer Anteil macht sich auf den Weg nach Europa. Viele von diesen Menschen sind in den letzten Jahren vor unseren Augen im Mittelmeer ertrunken. Wir brauchen daher mehr legale Wege, für die Menschen, die vor Krieg flüchten. Weil wir keine legalen Wege für Flüchtlinge schaffen, betreiben wir mehr oder weniger damit das Geschäft der Schlepper. Das muss endlich aufhören, Deutschland kann und wird mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen. Wir sind nicht das Land, das die meisten Flüchtlinge aufnimmt. Im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl ist Schweden das Land mit den meisten Asylbewerbern, danach folgen Malta, Luxemburg. Im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße liegt Deutschland in Europa auf dem sechsten Platz und weltweit auf Platz 13. Deutschland nimmt 0, 24 Prozent der Flüchtlinge auf, die es auf der Welt gibt. Die Zahl wird in Zukunft absehbar steigen, aber immer noch keine „Überfremdung“ verursachen. Daher ist es unsere Aufgabe als Politik, den Menschen die Sorgen zu nehmen, in dem wir sie aufklären und ihnen die Fakten nennen und keine Scheinlösungen anbieten oder Ressentiments schüren.
Politische Stimmen, die die Ängste der Menschen zusätzlich schüren, in dem sie Schutzsuchende aufteilen in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge oder berechtigte und unberechtigte Asylbewerber, nähren den Boden für menschenverachtende Ideologien, handeln zudem verantwortungslos. Schwarz-Grün ist in Hessen in der Verantwortung, diesen populistischen Stimmen und Scheindebatten keinen Raum zu geben. Schwarz-Grün in Hessen ist in der Verantwortung im Bund-Länder-Treffen gegen eine Verschärfung des Asylrechts zu stimmen. Am 24. September 2015 hat sie die Möglichkeit, sich klar für die Würde des Menschen und einen Zusammenhalt der Gesellschaft zu entscheiden, somit NEIN zum Asylkompromiss zu sagen.
Die Würde des Menschen ist unantastbar, auch die des Kriegsflüchtlings oder des Arbeitsmigranten, der ein Leben in Würde und Frieden führen möchte.