Mürvet Öztürk zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Volker Bouffier

In der heutigen Regierungserklärung des Ministerpräsidenten sind konkrete Vorschläge, wie in Hessen eine deutliche Verbesserung der Situation der Flüchtlinge organisiert werden kann, leider erneut ausgeblieben. Hessen hat immer noch keinen konkreten Zeitplan vorgelegt, wie es bis Winter feste Unterkünfte schaffen, die Gesundheitsversorgung der Menschen gewährleisten, das Ehrenamt unterstützen und die Integration von Flüchtlingen organisieren möchte. Das ist sehr bedauerlich.

Dass die Zahl der Flüchtlinge in Hessen steigen wird, ist längst bekannt. Daher brauchen wir aktuell keine Verschärfung, sondern eine Liberalisierung des Asylrechts.  Hessen muss die Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten in der Bund-Länder-Beratung und im Bundesrat ablehnen. Es ist politisch ein falscher Weg, weil damit erneut das Grundrecht auf Asyl ausgehöhlt wird. Durch den Paragraphen 16a ist es im Jahre 1993 faktisch unmöglich gemacht worden, dass Asylbewerber legal nach Deutschland kommen und einen Antrag stellen können. Herr Kohl hat damals das Grundrecht auf Asyl faktisch abgeschafft, und nun soll binnen einem Jahr die Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten unter Frau Merkel erneut erweitert werden. Ich lehne eine Verschärfung des Asylrechts, die Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten um Kosovo, Albanien und Montenegro, die Verlängerung der Unterbringung in Erstaufnahmeeinrichtung von 3 auf 6 Monate und die angedachte Einführung des Sachleistungsprinzips ab. Es werden die Menschenwürde und das Grundrecht auf soziale Teilhabe massiv eingeschränkt. Ein verlängerter Aufenthalt in Erstaufnahmeeinrichtungen würde Konflikte vorprogrammieren. Ich bin sehr besorgt darüber, dass Frauenverbände über sexuelle Übergriffe an Flüchtlingsfrauen in Erstaufnahmeeinrichtungen berichten. Auf diese Sorge mit lediglich 350 Unterbringungsmöglichkeiten speziell für Frauen zu antworten, dass in Darmstadt eingerichtet wurde ist definitiv unzureichend – bei ca. 6000 Personen, die in Zeltstädten untergebracht sind.

Ich erwarte von der Hessischen Landesregierung am Donnerstag, den 24. September in den Beratungen mit Kanzlerin Angela Merkel eine klare Absage zur Verschärfung des Asylrechts und Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten. Die finanzielle Unterstützung der Länder darf nicht mit dem Ausverkauf des Asylrechts einhergehen.

Ich fordere die Landesregierung auf, endlich ein Bauprogramm für den sozialen Wohnungsbau so zu modifizieren, dass die Zielgruppe der Flüchtlinge ebenfalls Berücksichtigung findet. Ich fordere ein Landesbürgschaftsprogramm, damit Bau und Umbau von Unterkünften durch Kredite der WI-Bank unterstützt und finanziert werden können. Nur so wird es in Hessen möglich sein, einen Zeitplan über die Schaffung von festen Unterkünften entwickeln zu können. Ich fordere die Landesregierung auf, das WIR-Programm auch für Flüchtlinge zu öffnen, damit diese an den Angeboten vor Ort teilnehmen können und diese Unterscheidung in Migranten mit gesichertem und ungesichertem Aufenthalt aufhört. Ich fordere ein Landessprachprogramm, damit Flüchtlinge vom 1. Tag ihres Aufenthaltes in der Erstaufnahmeeinrichtung Sprachförderung erhalten und soziale Teilhabe möglich ist. Ich fordere die Landesregierung auf ein Willkommenskonzept zu erstellen, in dem Strukturen geschaffen werden, die Flüchtlinge unabhängige Verfahrensberatung gewährleisten und sie bei bürokratischen Fragen unterstützen. Dazu muss das Land gemeinsam mit den Flüchtlingsverbänden, Pro Asyl, den Wohlfahrtsverbänden, den Kirchen ein Konzept vereinbaren, dass wir von einer Willkommenskultur zu einer Willkommensstruktur gelangen. Denn wer Menschen willkommen heißen möchte, der braucht eine Struktur dafür. Ich fordere die Landesregierung auf, 1 Prozent von dem im Haushalt veranschlagten Budgets für die Versorgung und Unterbringung von Flüchtlingen – also ca. 7 Millionen Euro – für eine Willkommensstruktur auszugeben. Dieses Geld soll ausgegeben werden für:

1)    Unabhängige Flüchtlingsberatung und Verfahrensberatung in den Landkreisen und Kreisfreien Städte sowie der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung und ihren Außenstellen.
2)    Gewinnung, Koordination, Unterstützung von zivilgesellschaftlichem Engagement.
3)    Verbesserung der psychosozialen Versorgung Schutzbedürftigen Gruppen, Trauma-Behandlungszentren.

Aktive Willkommenskultur braucht eine personell und finanziell ausgestatte Willkommensstruktur. Ich lehne es ab, die Menschen in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge aufzuteilen. Unser politisches Handeln sollte nach der Maxime ausgerichtet sein, allen Schutzsuchenden eine menschenwürdige Versorgung zu gewährleisten.

Auch Menschen aus dem Balkan haben ein Recht auf Arbeit und ein würdevolles Leben. Diese Menschen wollen kein Asyl beantragen, sie wollen arbeiten. Statt ein Asylantrag und anschließender Abschiebung, fordere ich eine Duldung für die Menschen aus dem Balkan, mit der Möglichkeit der Arbeitsplatzsuche für sechs Monate zu ermöglichen. Die Abschaffung der Vorrangigkeitsprüfung ist die Forderung, die Hessen auf Bundesebene durchsetzen sollte. Die Erhöhung der Aufnahmekontingente für Kriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak, wäre eine konkrete Entlastung der Behörden und die Verlängerung des Hessischen Aufnahmeprogramms ohne Stichtagsregelung. All das sind Maßnahmen, die in Hessen ergriffen werden müssen.  Mit dem Finger auf die Bundes- und Europaebene zu zeigen,  ist unzureichend. Hessen muss selbst handeln – und zwar jetzt.

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die des Arbeitsmigranten aus dem Balkan ebenso die Würde des Kriegsflüchtlings aus Syrien oder dem Irak.