Hadamar. Deutschland als Exportnation ist „vielgestaltig und bunt“, daran besteht für IB-Geschäftsführer Michael Thiele kein Zweifel. Wie gehen aber die Zugezogenen oder die Mehrheitsgesellschaft miteinander um? Was kann man vernünftigerweise voneinander
erwarten? Wo lauern mögliche kulturell bedingte Missverständnisse? Diese und viele weitere Fragen rund um das Thema Integration wurden im Laufe einer komplexen, emotional und immer sehr spannend geführten Podiumsdiskussion angerissen.
Veranstalter waren die Karawane 2000 Deutschland, die IB-Bildungsstätte Hadamar und der DITIB Landesverband Hessen. Gefördert wurde sie im Rahmen des Bundesprogrammes „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“.
„Wir wollten Menschen zusammenführen, die sich normalerweise nicht begegnen, und eine Diskussion auf Augenhöhe ermöglichen“, umriss Organisator und Moderator Mehmet Senel vom Internationalen Bund (IB) das Anliegen der Veranstaltung. Schließlich sei eigentlich allen klar, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Schnell wurde deutlich, wie sehr die persönlichen Erfahrungen und der biografische Hintergrund der geladenen Experten einer an sich trockenen und komplexen Materie eine völlig neue Relevanz und Emotionalität verleihen kann.
„Ich bin eine Bremerin mit türkischen Wurzeln“, bekräftigte zum Beispiel Halime Cengiz von der Türkisch-Islamischen Union DITIB. Sie hasse den Begriff „Migrationshintergrund“, erklärte die mit einem Kopftuch bekleidete Landesvorsitzende. Ausdrücklich kritisierte sie das noch existierende Schubladendenken, welches dazu führe, dass Schüler vom Lehrer gefragt würden: „Wo kommst du denn her?“ Wichtig sei, dass sich die Menschen „heimisch fühlen“ und man ihnen das Gefühl gebe, auch ihr seid ein Teil der Gesellschaft, sonst würden sie resignieren.
Für ein „aktives Umgehen“ mit der Vielfalt und gegen ein „bloßes Nebeneinander“ setze sich daher auch die integrationspolitische Sprecherin der Grünen, Mürvet Öztürk ein. Als Alewitin und Kurdin habe sie persönlich auch viele Vorurteile außerhalb und innerhalb „der Community“ ausräumen müssen. Vom Unterlassen des Fastens im Ramadan über arabische und jüdische Freunde bis hin zum Terror der PKK reiche dabei die Spanne der persönlichen Erfahrungen und Konflikte. Wenig überraschend empfahl die Grünen-Politikerin dann auch jungen Menschen, sich selbst politisch einzubringen und zum Beispiel auch mal für den Kreistag zu kandidieren. Denn Integration sei „keine Einbahnstraße“ und könne nur funktionieren, „wenn sich beide in der Mitte treffen“. Neben der Beherrschung der deutschen Sprache gehöre auch die Kenntnis der hiesigen Sitten und Traditionen zu einer gelungen Integration, betonte Michael Thiele. Überlässt man die Integration dem Staat oder dem Individuum, lockt man nur mit Anreizen oder übt man auch Druck aus. Diese Fragen müssten aktiv von der Gesellschaft diskutiert werden, ohne dabei in die Gefahren des „Sarazinismus“ zu verfallen, ergänzte der Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, Daniel Neumann.
Eingebunden war die Podiumsdiskussion in ein vielfältiges Programm. Neben einem Wochenseminar über Demokratie und interkulturelle Zusammenarbeit kam es auch zu einer bewegenden interreligiösen Gedenkzeremonie am Mahnmal „Mensch achte den Menschen“ auf dem Friedhof der Gedenkstätte Hadamar. Erstmals gedachten dort gemeinsam Vertreter aller drei mosaischen Religionen den Opfern des nationalsozialistischen Euthanasieprogrammes.
Vorausgegangen war eine Führung durch die Gedenkstätte, an der erstmals Vertreter muslimischer Organisationen offiziell teilnahmen. „Und was geht mich das an, könnte ein Immigrant fragen“, räumte Organisator Mehmet Senel ein. Aber als pädagogischer Leiter der IB-Bildungsstätte Hadamar habe er den didaktischen Ansatz gewählt, diese Verbrechen auch als eine Folge von Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung darzustellen. Dann sei man auch nahe an der Erfahrungswelt vieler Migranten und sie würden so seinen Zugang zu dem Thema finden. koe
Quelle: www.fnp.de
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