Menschlichkeit statt Sturheit für Familie Kazan – Bouffier muss umdenken

Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bei diesem Thema der aktuellen Stunde möchten wir über die Menschlichkeit sprechen, und zwar für die Familie Kazan. Sie sitzt in der Türkei auf gepackten Koffern und wartet nach einem Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt auf ihre Einreiseerlaubnis nach Deutschland.

Viele kennen die Familie Kazan aus den Medien. Sie wurde vor einem Jahr abgeschoben. In Deutschland gibt es einen fleißigen, aktiven Helferkreis, der im Namen der Familie geklagt hat. Daraufhin hat das Verwaltungsgericht in Frankfurt entschieden, dass diese Familie aus sechs Kindern und der Mutter bestehend wieder nach Deutschland einreisen darf und der Main-Kinzig-Kreis dieser Familie eine Aufenthaltserlaubnis erteilen kann.

Nachdem auf Initiative des Helferkreises das Verwaltungsgericht eine positive Entscheidung getroffen hat, müssen wir nun erfahren, dass Herr Innenminister Bouffier über den zuständigen Regierungspräsidenten in Darmstadt im Namen des Landkreises eine Berufung gegen diese Entscheidung hat einlegen lassen – obwohl weder der Landkreis noch der Landrat diese Berufung wollten.

Dies ist ein Fall, bei dem wir sehr verwundert feststellen mussten, wie Demokratie und demokratisches Miteinander falsch verstanden werden.

Es geht hier um sieben Personen, die zum Teil 15 Jahre lang hier gelebt haben. Fünf von diesen sechs Kindern sind hier geboren und aufgewachsen. Der Helferkreis bescheinigt, dass diese Familie sehr gut hier integriert ist. Die Leistungen der Kinder in der Schule sind vorbildlich. Daher spricht eigentlich nichts dagegen, diese Familie nicht hierzubehalten und ihre Integration weiterhin positiv zu fördern. In diesem Fall waren sehr positive Akzente gesetzt worden, die weiterzufördern sind.

In diesem Sinne hat auch das Verwaltungsgericht gesagt, nach § 25 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes in Verbindung mit Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist dieser Familie ein Bleiberecht zu gewähren, weil ihre Integration gut verlaufen ist und weil es diesen in Deutschland geborenen und aufgewachsenen Kindern zum Zeitpunkt ihrer Abschiebung unzumutbar war, sich in ihrem Heimatland zu integrieren.

Das Verwaltungsgericht hat ein solches Urteil ausgesprochen. Der Förderkreis und der Landkreis in Person des Landrats haben versichert, dass nach der Rückreise sämtliche Kosten für diese Familie übernommen würden, bis die Kinder volljährig sind. Für die Mutter ist ein Arbeitsplatz gefunden worden. Das bedeutet, das Kostenproblem, das in solchen Fällen immer sehr in den Vordergrund gerückt wird, ist hier gelöst. Nach dem Urteil sind die Kinder integriert. Daher gibt es keine rationalen Gründe dafür, zu sagen: Nein, diese Familie darf nicht einreisen.

Anstatt sich über dieses positive Urteil zu freuen, anstatt in die Kirche zu gehen und eine Kerze anzuzünden, geht unser Innenminister zu Gericht und legt Berufung ein. Meine Damen und Herren, das kann ich nicht nachvollziehen.

 (Lebhafter Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Ich möchte diesen Fall hier nicht emotional, populistisch oder im Sinne eines Grabenkampfes diskutieren. Es geht hier um Menschen, um humanitäre Gründe. Es geht um Personen, die auf gepackten Koffern sitzen; es geht um Schicksal. Es geht um Kinder im Alter von 15, 14, 13 Jahren, die in den nächsten Jahren hier eine Ausbildungsstelle annehmen können, die positiv in dieser Gesellschaft mitwirken können.

Oft wird diese Debatte um Flüchtlinge mit Gefahren oder mit öffentlichem Ärgernis verbunden. Hier aber haben wir eines der vielen Beispiele, die wir positiv in den Vordergrund stellen und unterstützen müssen.

Stattdessen weigern wir uns, diese Menschen zu unterstützen. Ich verstehe nicht, warum. Es würde mich sehr wundern, wenn Sie sinnvolle Argumente dafür finden könnten, warum das so sein soll.

 (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte hier die Gelegenheit nutzen und dem Helferkreis nochmals Dank aussprechen, insbesondere dem Landkreis Main-Kinzig und dem Landrat, der sogar persönlich eine Verpflichtungserklärung abgegeben hat, diese Kosten für die Familie zu übernehmen.

Wir von SPD und GRÜNEN haben hierzu einen Antrag vorgelegt und möchten gerne über diesen Fall im Ausschuss weiter im Detail diskutieren. Diese Situation können wir nicht einfach hinnehmen – dass vom Innenministerium aus über das Regierungspräsidium dem Landrat die Berufung oktroyiert wird. Das ist kein vernünftiges demokratisches Verständnis. Die Judikative hat gesprochen. Die Legislative hat dazu einen Antrag eingebracht. Es gibt dazu noch ein Petitionsverfahren.

Daher verlange ich von der Exekutive, diesem Urteil zu entsprechen, anstatt auf irgendwelchen Wegen eine Berufung einzulegen,

 (Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

die eigentlich vom Main-Kinzig-Kreis zu verantworten wäre, nicht aber vom Innenminster. – Herzlichen Dank.

 (Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Vizepräsident Dieter Posch:

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Öztürk.

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