Hessenschau im Interview mit Mürvet Öztürk: „Premiere auf dem Übergangsplatz“

Öztürk-Interview nach Ausstieg aus Grünen-Fraktion | hessenschau.de | 22.09.2015

Wegen dieses Themas hat sie die Grünen-Fraktion verlassen: Mürvet Öztürk verfolgte die Debatte um die Flüchtlingspolitik am Dienstag im Landtag von einem Übergangsplatz. Reden wollte sie dennoch, wie sie im Interview versicherte.

Mit einer Regierungserklärung zur Flüchtlingspolitik eröffnete Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am Dienstagnachmittag die Plenarwoche im Landtag. Für Mürvet Öztürk war es die erste Debatte seit ihrem Rückzug aus der Grünen-Fraktion vor zwei Wochen.

hessenschau.de: Frau Öztürk, vor zwei Wochen sind sie aus der Fraktion ausgetreten, aber das Parteibuch der Grünen haben Sie immer noch. Denken Sie über einen Austritt aus der Partei nach?

Mürvet Öztürk: Das möchte ich davon abhängig machen, wie sich meine Partei in der Flüchtlings- und Asylpolitik und in der Frage der sicheren Herkunftsstaaten in Zukunft positioniert.

hessenschau.de: Wie waren die Reaktionen von der Grünen-Basis auf ihren Fraktionsaustritt?

Öztürk: Die Basis ist größtenteils dafür, dass man in der Asyl- und Flüchtlingspolitik den klassischen Grünen-Linien treu bleibt. Dass man also auch mit der CDU so verhandelt, dass die Entscheidungen im Sinne der Schutzsuchenden getroffenen werden. Viele, die mich kennen, finden daher meinen Schritt nachvollziehbar und konsequent.

Es gab aber auch kritische Stimmen, die gesagt haben: „Es wäre gut gewesen, wenn du geblieben wärst und deinen kritischen Input eingebracht hättest.“

hessenschau.de: Nun werden Sie am Dienstag erstmals als fraktionslose Abgeordnete an der Landtagssitzung teilnehmen. Wie fühlt sich das für Sie an?

Öztürk: Ich rechne damit, dass es so wie immer sein wird. Ich werde lediglich auf einem anderen Platz sitzen, der mir vorübergehend zugewiesen wurde. Für die Debatte nach der Regierungserklärung werde ich wie immer einen Redebeitrag vorbereiten.

hessenschau.de: Was hat Sie letztlich dazu bewogen, aus der Fraktion auszutreten?

Öztürk: Es war für mich keine einfache Entscheidung. Ich habe lange über den Schritt nachgedacht und auch reiflich überlegt, ob es besser ist, außerhalb der Fraktion für bestimmte Themen zu streiten.

Die Erfahrungen des letzten Jahres haben mir gezeigt, dass ich für mich und meine politische Überzeugung innerhalb der Fraktion in der Konstellation mit der CDU keinen Sinn sehe. Von daher habe ich den Schritt nicht bereut.

hessenschau.de: Welche Erfahrungen meinen Sie?

Öztürk: Von Beginn der schwarz-grünen Regierung in Hessen an war klar, dass die Flüchtlingspolitik eine der größten Herausforderungen der nächsten Jahre sein würde. Zu lange ist jedoch diese Realität ignoriert worden beziehungsweise man wollte es nicht wahrhaben, dass die Zahlen steigen und wir unsere Strukturen komplett ändern müssen, um diese Menschen auch menschenwürdig unterbringen zu können.

Nun werden wir von der Realität überholt und sind völlig unvorbereitet. Hessen hat immer noch kein vernünftiges Konzept für eine langfristige Unterbringung und Integration der Flüchtlinge. Gleichzeitig wird auf Bundesebene zum zweiten Mal über eine Verschärfung des Asylrechts geredet, was von Schwarz-Grün teilweise unterstützt, von mir jedoch abgelehnt wird. Deshalb bin ich aus der Fraktion ausgetreten.

hessenschau.de: Wurde also aus Ihrer Sicht eine rote Linie überschritten?

Öztürk: Am Donnerstag wird beim Bund-Ländertreffen über die Verschärfung des Asylrechts diskutiert und die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten entschieden. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird die hessische Landesregierung das Vorhaben unterstützen. Ob man sich enthält, weil man keinen Ärger auf sich ziehen will, oder ob man dem zustimmt, wird sich zeigen.

Für mich ist aber die rote Linie überschritten, weil man innerhalb von einem Jahr schon wieder darüber diskutiert, die sicheren Herkunftsstaaten zu erweitern. Und das, obwohl man im letzten Jahr gemerkt hat, das dieses Instrument nicht dazu führt, dass weniger Flüchtlinge aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina (diese Länder wurden zuletzt als sichere Herkunftsstaaten eingestuft, Anm. d. Red.) nach Deutschland kommen.

Das Grundrecht auf Asyl soll somit erneut geschwächt werden. Das ist für mich politisch nicht tragbar.

hessenschau.de: Also wird die Landesregierung die Erweiterung der sicheren Drittstaaten mittragen?

Öztürk: Auch wenn Hessen sich erneut enthalten sollte, werden die Fraktionen den Schritt politisch mittragen und nach außen in der Öffentlichkeit verteidigen. So war das im letzten Jahr: Sowohl CDU als auch Grüne erklärten, dass es notwendig war, die Liste der sicheren Herkunftsstaaten zu erweitern, um den gesellschaftlichen Frieden zu bewahren.

Richtig wäre aber, die anstehende Erweiterung der Liste und Verschärfung des Asylrechts klar abzulehnen und jene Kräfte im Land zu stärken, die für legale Fluchtwege, für mehr Aufnahme der Flüchtlinge plädieren und sich für sie ehrenamtlich einsetzen.

Originallink: http://hessenschau.de/politik/oeztuerk-interview-nach-ausstieg-aus-gruenen-fraktion,interview-oeztuerk-102.html