Von Marie-Sophie Adeoso, Frankfurter Rundschau, 15.02.2017
Am 16. April wird in der Türkei in einem umstrittenen Referendum über eine Änderung der Verfassung abgestimmt. Auch rund 120 000 Hessinnen und Hessen mit türkischer Staatsbürgerschaft sind wahlberechtigt. Um sie über die Inhalte der von Präsident Recep Tayyip Erdogan angestrebten Verfassungsänderung aufzuklären und insbesondere die Unentschlossenen dazu zu bringen, mit Nein zu stimmen, haben sich rund 120 türkischstämmige Menschen zur überparteilichen und unabhängigen „Nein-Initiative Hessen“ zusammengeschlossen. 70 von ihnen haben namentlich eine Deklaration unterzeichnet und sagen „Nein zu einer Verfassungsänderung, die das Land einem Ein-Mann-Regime überantworten soll“.
„Wir sind türkische Staatsbürger, aber auch in der Türkei geborene Deutsche und beobachten die Ereignisse dort mit großer Sorge“, sagte der SPD-Landtagsabgeordnete Turgut Yüksel am Mittwoch im Frankfurter Kabaretttheater „Die Käs“.
Mit den geplanten Verfassungsänderungen würden „die parlamentarische Demokratie abgeschafft und die Gewaltenteilung aufgehoben. Wer Pluralismus unterstützt, kann den Entwicklungen in der Türkei nicht neutral gegenüberstehen“, ergänzte die fraktionslose Abgeordnete Mürvet Öztürk. Man wolle es allen demokratisch Gesinnten ermöglichen, „selbstbewusst Nein zu sagen, ohne in eine antidemokratische Ecke gestellt zu werden“.
„Menschenrechte machen nicht an Landesgrenzen halt“, sagte der Gewerkschafter Yilmaz Karahasan. Alle Demokratinnen und Demokraten in Hessen müssten ihre Stimme dagegen erheben, dass in der Türkei eine Präsidialdiktatur errichtet werde. Atila Karabörklü, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde Hessen, der die Nein-Initiative aber wie alle Beteiligten nicht im Namen seines Verbandes, sondern als Einzelperson unterstützt, betonte, das Referendum sei „keine parteipolitische Wahl“, sondern eine Weichenstellung für die Zukunft des ganzen Landes. Denn die Verfassungsreform würde es dem Präsidenten etwa ermöglichen, ohne Zustimmung des Parlaments per Dekret Gesetze zu erlassen, eigenständig über Stellvertreter und Minister zu entscheiden oder gar das Parlament aufzulösen, führte Karabörklü aus. Da ein knappes Ergebnis prognostiziert werde, könne der Ausgang der Abstimmung auch durch die deutschlandweit mehr als eine Million Wahlberechtigten entschieden werden.
Bei den vergangenen Parlamentswahlen hätten nur etwa 40 Prozent von ihnen abgestimmt, sagte Mürvet Öztürk – mehrheitlich für Erdogans AKP. Die Nein-Initiative wolle daher mit Flyern, in den sozialen Netzwerken, über Kontakte in Vereinen und Verbänden sowie mit Infoständen möglichst viele Wählerinnen und Wähler mobilisieren. Viele Menschen seien verwirrt über die Inhalte des Referendums und dessen Ablauf. Sie wolle man aufklären und ermutigen, sich als Wahlberechtigte registrieren zu lassen und ihre Stimme zu nutzen. „Es könnte die letzte Möglichkeit sein, sich an freien Wahlen in der Türkei zu beteiligen“, betonte Öztürk.
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